Shinrin-yoku: Die japanische Kunst des Waldbadens
Wo es würzig riecht, das Licht milde schimmert, die Luft klar ist, sich die Wipfel im Wind wiegen und der Boden unter den Füssen federt. Nur schon die Beschreibung eines schönen Waldes weckt bei uns positive Assoziationen. In den Wald eintauchen – darauf basiert die japanische Tradition des Shinrin-yoku, des Wald(luft)badens.
Qing Li forscht an der Nippon Medical School und ist eine Koryphäe der Waldmedizin. Sein Ziel: die Waldmedizin zu einer international anerkannten Wissenschaft zu machen. Der Professor praktiziert mit seinen Studenten Shinrin-yoku und gibt folgende Anleitung: "Schau dir die Farben der Bäume an, atme tief ein, hör die Blätter rauschen. Wenn du müde bist, darfst du dich ausruhen, wo und wann du willst. Wenn du durstig bist, darfst du etwas trinken, wo und wann du willst. Dreckige Hände machen dich gesund. Waldgänge klären deine Gedanken."
Das japanische Landwirtschaftsministerium führte Shinrin-yoku schon Anfang der achtziger Jahre ein und förderte ein millionenschweres Forschungsprogramm, um die medizinische Wirkung des Waldbadens nachzuweisen. Vor zwölf Jahren eröffnete dann das erste Zentrum für "Waldtherapie", und japanische Universitäten bieten inzwischen eine fachärztliche Spezialisierung in "Waldmedizin" an. In mehreren Studien hat Li gemeinsam mit japanischen und koreanischen Kollegen gezeigt, dass schon ein kurzer entspannter Spaziergang durch den Wald einen Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Im Wald steige die Zahl der Killerzellen und das Immunsystem verbessere sich, schreiben die Wissenschaftler. Blutdruck, Kortisol und Puls würden sinken – schon nach einer Stunde im Wald.
Eine Anleitung in zehn Schritten
1. SCHLENDERN
Gehe langsam und gemütlich spazieren. Streckenverlauf, Ziel und Dauer sind nicht festgelegt.
2. RASTEN
Halte inne, verausgabe dich nicht. Lege rechtzeitig Pausen ein. Lass die Seele nachkommen.
3. WAHRNEHMEN
Erlebe, was dich umgibt, aber ohne Leistungsdruck. Staune, geniesse die Formen, Farben, Gerüche und Geräusche des Waldes. Leg dich ins Laub, sonne dich. Berühre eine Rinde, lehne dich an einen Stamm, setze dich auf einen Baumstumpf. Probiere junge Blätter, die du kennst. Entdeckst du einen Bach, schau aufs Wasser, kühle deine Füsse.
4. AUSPROBIEREN
Gehe mit offenem, wachem Blick, entdecke Bekanntes neu. Lege ein Mandala, flechte Gräser, sammle Steine, Eicheln oder Kastanien, suche dir einen schönen Spazierstock.
5. SANFTE BEWEGUNG
Balanciere über Stämme, hüpfe über Stümpfe. Wenn du kannst, übe Yoga – der Körper bekommt so mehr Sauerstoff.
6. ACHTSAMKEIT
Sei mit deiner Aufmerksamkeit im Moment, staune vorbehaltlos, nimm Eindrücke wertfrei wahr.
7. AUGENENTSPANNUNG
Schau in die Ferne: Geniesse das Grün des Waldes, entlaste deine monitormüden Augen.
8. ATEMÜBUNGEN
Setze dich an einen schönen Platz, und beobachte deinen Atem, lass ihn kommen und gehen.
9. MEDITATION
Sammle dich, beruhige deinen Geist, dann findest du zur Ruhe. Anfänger lassen sich anleiten.
10. STILLE
Schweige, träume und geniesse das Alleinsein.